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Wie breit Rubatos Spektrum in den rund 52 Produktionen seit der Gründung 1985 sein mag, es gibt doch bestimmte Konstanten. Ob in Dieter Baumanns Soli, den Duos mit Jutta Hell, den Stücken für Gruppe: Es geht um das Menschsein in seinen Gefährdungen, Einblicke in das „normale“ und dennoch singuläre Leben, um Verletzlichkeit des Individuums, Suche nach seiner Bestimmung in der Gemeinschaft, Solidarität, Verlorensein, soziale Normen, zwischenmenschliches Klima.
Jagd nach Glück und Geborgenheit, die Spanne zwischen Hingabe und Aggression, Unterwerfung und Dominanz, den Sprint um Erfüllung thematisiert „hunting“ von 2000. In „Act“ (2013) klingen ähnliche Motive an, erweitert um politische Dimensionen: Veränderungen durch Kraft und Einheit des Volkes etwa in arabischen Ländern. Rivalität, Wettkampf, Gewalt zwischen den drei Tänzern leuchten das Danach aus, wenn Siege erfochten sind und Macht verteilt wird. Stehen Baumanns Soli – oft in Reaktion auf die Arbeit mit Gerhard Bohner – als reduzierte und hochkonzentrierte Selbstbefragungen im leeren Raum, ziehen die Duette mit Hell – assoziative Bilderteppiche aus Puzzleteilen wie Nähe, Ego, Vertrauen, Zärtlichkeit – Bilanz eines gemeinsamen Weges, sind in den besten Momenten getanzte Monologe eines Zweierkörpers. Witz hat das, ist fein ziseliert in der abstrahierenden Formensprache, endet mit versöhnlichen Tönen. Leiser, sensibler, eindringlicher agiert Rubato über die Dezennien, kontrollierter im Einsatz von Bewegung und Requisit.

Volkmar Draeger; Auszug aus der Broschüre zur Tanzplattform 2014
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Emotionalität und Formstrenge - zwischen diesen beiden Polen entfaltet sich das Universum der Tanzcompagnie Rubato. Nach 25 Jahren künstlerischer Praxis gehören Jutta Hell und Dieter Baumann zum “Urgestein” der freien deutschen Tanzszene. Unbeeindruckt von allen kurzlebigen Trends gehen sie nach wie vor  ihre eigenen ästhetischen Wege. Im Gegensatz zu jüngeren Kollegen, die der Bewegung an sich misstrauen und vor allzu authentischen Gefühlen in die Ironie flüchten, legen die beiden Rubatos eine Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit an den Tag, die heutzutage fast anachronistisch erscheinen. 
Ob sie mit ihren Körpern persönlichen Verlusten oder Beziehungsthemen nachspüren oder sich von einer eher abstrakten Warte aus mit den Phänomenen von Zeit und Raum beschäftigen - immer finden sie dabei ein subtiles Gleichgewicht zwischen Form und Gefühl, zwischen Narrativität und Abstraktion. 
Waren die beiden besonders in ihren Anfängen stark von der radikalen oft hermetischen Formstrenge ihres Mentors Gerhard Bohner geprägt, so ist in letzter Zeit eine altersweise Bemühung spürbar, dem Publikum „Türen” des Zugangs zu eröffnen. Ausgehend von der beeindruckenden physischen Erinnerung, die ihren  Körpern eingeschrieben ist, entwerfen sie Versuchsanordnungen, in denen der Mensch als eigensinnige Bewegungsfigur in einem gesellschaftlich normierten Feld erscheint. Mögliche Exzesse spielen sich innerhalb eng abgesteckter Grenzen ab.  Wie in der buddhistischen Philosophie schließen Widersprüche einander bei Rubato nicht aus: Sie ergänzen einander zum Abbild eines kompletten Universums.

Auszug aus der Broschüre zur Tanzplattform 2010 – Text von Frank Weigand