Offenheit bewährt sich!
Die Tanzcompagnie RUBATO feiert im April ihr 25jähriges Bestehen
von Tobias Schwartz
Spanien, 1984. Es ist noch nicht lange her, dass Jutta Hell ihren Beruf als Sportlehrerin zum Entsetzen ihrer Kollegen an den Nagel hängt, um sich ihrem eigentlichen Interesse zu widmen, dem Tanz. Zwar hat sich die 1955 in Markoldendorf geborene Absolventin einer klassischen Tanz- und Gymnastikausbildung schon in Tanz-AGs künstlerisch betätigt, nun aber steht sie vor der Entscheidung, den Absprung zu wagen oder in ihrem Beruf zu versauern. „Irgendwann hat es mir gereicht, zu unterrichten. Ich musste dringend aus der Schule raus!“, erinnert sie sich heute. Der nächste Schritt war eine Fortbildung in Spanien, wo sie auf ihren künftigen Partner Dieter Baumann trifft. Auch der 1954 in Schwennigen geborene Baumann ist über Umwege zum Tanz gelangt.
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Er entstammt der Artistik, trainiert schon als 6jähriger Kunstradfahren. In Berlin ist er Mitte der Siebziger politisch aktiv und an Häuserkämpfen beteiligt. In Spanien improvisieren beide zusammen und spüren, dass die Begegnung künstlerische Funken schlägt. „Wir konnten sofort unheimlich gut miteinander arbeiten“, so Hell. Also fackeln sie nicht lange, Hell geht nach Berlin und zieht mit Baumann in eine alte Remise, die über eine Ofenheizung, aber auch einen kleinen Probenraum verfügt. Im April 1985 folgt die Gründung der Tanzcompagnie RUBATO, die heute zu einer der berühmtesten Gruppen der freien Szene zählt.
Als Urgesteine oder Dinosaurier des Tanzes bezeichnet zu werden, verbitten sich die beiden Rubatos. Auch hat man im Gespräch das gegenteilige Gefühl, mit sehr jungen Geistern zu kommunizieren. Treffpunkt ist das Podewil-Café, einer der zahllosen Orte in Berlin, an denen das Duo schon gewirkt hat. Angefangen haben sie im nicht mehr existierenden Transform-Theater Hasenheide mit der Initialproduktion „Die Menagerie“. Nach ihrem dritten, mit minimalen Mitteln verwirklichten Stück wird RUBATO öffentlich gefördert und performt 1988 „Rabengold, Goldrabe“ im Ballhaus Naunynstraße, das damals Tanz als Schwerpunkt pflegt. Ein Ausschnitt wird bei der zweiten Ausgabe vom 1988 gegründeten „Tanz im August“ gezeigt. Seitdem gibt es eine förmliche Erfolgsexplosion, Baumann und Hell bereisen die ganze Welt, touren durch Europa, Asien und Amerika, dutzende neue Produktionen entstehen. Immer wieder landen die Pioniere internationaler Koproduktionen in China, wo sie 1995 eine Choreografie für die Guangdong Modern Dance Cie erarbeiten. 2002 folgt ein Duett mit Baumann und der transsexuellen chinesischen Startänzerin Jin Xing.
„Es hat sich in der Tanzszene wahnsinnig viel verändert in den letzten 25 Jahren“, erklärt Baumann. „Berlin hat mittlerweile weltweit einen hohen Bekanntheitsgrad als Tanzstadt. Die Vielfalt dessen, was als Tanz bezeichnet wird, ist wesentlich größer geworden, auch die Neugier auf Körper. Als wir angefangen haben, hatte der Tanz gerade erst begonnen, ein Selbstbewusstsein zu entwickeln.“ Trotz seiner Beliebtheit und seinem Facettenreichtum fehlt dem Tanz heute allerdings ein Ort wie das frühere Theater am Halleschen Ufer, dessen Mitstreiter und „Artists in Residence“ RUBATO lange Jahren waren.
In fast allen Choreografien ist Baumann als Tänzer zu erleben, Hell hält sich häufiger zurück und wirkt aus dem Hintergrund. „Je nach Stück, Idee und auch finanziellen Mitteln holen wir uns Tänzer dazu. Alle zwei drei Jahre aber erarbeiten wir ein gemeinsames Duett, in dem wir uns ganz auf uns und unseren aktuellen Bezug zur Welt konzentrieren“, erklärt Baumann. Zuletzt geschah das in „display live“, das man auch als Installation bezeichnen könnte. Abstrakte, experimentelle und von Theorie durchdrungene Arbeiten wie diese stehen neben aufwändigeren, theatralen, auch emotionaleren Produktionen wie „3 men running“ vom Frühjahr 09, das die Zuschauer zu Tränen rührte. Zu den berühmtesten RUBATO-Arbeiten zählen „This is not a love song“, „S.O.S“ und das auf einem Plateau über dem damals noch ebenen Potsdamer Platz im Sonnenuntergang vor dem Panorama der vielen Kräne aufgeführte Duett „Ort 1“.
Ihre nächste Produktion führt die Rubatos wieder nach China. „Uns haben chinesische Tänzer immer fasziniert, vor allem die Diskrepanz zwischen Körperlichkeit und eigener Kreativität“, erklärt Hell. Die Uraufführung findet im August 2010 in Berlin statt, die Arbeit beginnt im März. In die Zukunft blicken die Künstler auch nach 25 Jahren gelassen: „Wenn der Körper kann und der Geist noch inspiriert ist, geht es weiter“, meint Baumann. „Offenheit bewahren! Solange es diese Freiheit gibt, ist alles wunderbar“, ergänzt Hell. Zum Jubiläum und auch für die Zukunft die herzlichsten Glückwünsche!